02.06.2016 - PNP - Unfälle mit Gülle belasten Bayerns Wasser
Fast 2000 Kubikmeter Schadstoffe wurden 2015 freigesetzt – Bund Naturschutz fordert bundesweite Regelung
von Romy Ebert-Adeikis
München. "Diese Verunreinigungen sind das Tüpfelchen auf dem i", ärgert sich Sebastian Schönauer. "Bayerns Gewässer sind ohnehin schon stark belastet", findet der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Naturschutz (BN) in Bayern und bundesweite Sprecher des BN-Arbeitskreises Wasser. Kein Wunder also, dass die in der vergangenen Woche herausgegebene Studie des Bayerischen Landesamts für Statistik über meldepflichtige Unfälle mit wassergefährdenden Stoffen bei dem Umweltschützer für Empörung sorgte.
278 solcher Unfälle wurden 2015 registriert.Obwohl damit die Anzahl der Schadstoff-Unfälle im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht gesunken ist (2014: 297 Unfälle), ist die Menge der dabei ausgetretenen Schadstoffe um ein Vielfaches größer. Gelangten im Vorjahr insgesamt 644 Kubikmeter wassergefährdende Stoffe bei solchen Vorfällen in die Umwelt, waren es 2015 mehr als drei Mal so viel (1952 Kubikmeter).
Der Grund: In diesem Jahr wurden von den Landratsämtern ungewöhnlich viele große Unfälle mit über 100Kubikmetern freigesetzten Substanzen gemeldet. Drei dieser fünf Großereignisse passierten in Niederbayern, je eines in Mittelfranken und Schwaben.
In Bernried und Plattling (beide Lkr. Deggendorf) entwichen etwa je 100 Kubikmeter Schadstoffe. Der größte Zwischenfall betraf eine Biogasanlage in Arnstorf (Lkr. Rottal-Inn). Dort waren wegen einem gebrochenen Sicherheitsbügel etwa 700 Kubikmeter Gülle aus einem Behälter ausgetreten – gut die Hälfte gelangte über einen Graben in den Zeller Bach und die Kollbach, aus denen danach mehr als drei Tonnen verendete Fische gefischt wurden.
So außergewöhnlich das Ausmaß des Unfalls in Arnstorf war, so exemplarisch ist der Vorfall in Bezug auf die ausgetretenen Stoffe. Denn bei über 70 Prozent der 2015 registrierten Zwischenfälle beim Umgang mit wassergefährdenden Stoffen spielen Jauche, Gülle und Silagensickersaft eine Rolle. "Vorwiegend" seien sie aus Biogasanlagen ausgetreten, legt die Studie des Landesamts für Statistik nahe. Seit 2010 hat es in solchen Anlagen 378 Vorfälle gegeben, bei denen Gewässer verunreinigt wurden, wie aus einer Antwort der Staatsregierung auf eine Landtagsanfrage hervorgeht. Insgesamt 2360 würden in Bayern derzeit betrieben.
"Viele Altanlagen müssten saniert werden, aber den Landwirten kostet das zu viel", klagt Sebastian Schönauer vom Bund Naturschutz. Er sieht dabei vor allem die Politik in Zugzwang. "Bei allen Erzeugungsarten wird reglementiert, nur nicht bei Biomasse." Es sei mehr als an der Zeit, dass sich etwas ändert. "Aber seit über zwei Jahren haben wir nun schon die Situation, dass eine vom Bundesrat beschlossene Verordnung von der Bundesregierung blockiert wird."
"Ein Skandal, der zum Himmel schreit"Gemeint ist die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV), die länderspezifische Regelungen in einem bundesweiten Reglement zusammenfassen will. 2014 stimmte im Bundesrat eine Mehrheit dafür, dieser Verordnung einen Zusatz für landwirtschaftliche Anlagen hinzuzufügen. Die müssten dann ebenfalls schärfere Anforderungen an die Sicherheit aufweisen – wie die Doppelwandigkeit bestimmter Schadstoffbehälter oder bestimmte technische Systeme zur Überwachung der flüssigen Substanzen.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium ist allerdings gegen diese Ausweitung der Verordnung – mit Hinweis darauf, dass für Landwirte hohe Kosten entstehen könnten. Deswegen ist die Verordnung bisher nicht in Kraft getreten. "Ein Minister macht da, was er will. Das ist ein Skandal, der zum Himmel schreit", moniert Schönauer. Die Anlagenbetreiber wüssten diese Situation für sich zu nutzen, so der Umweltschützer: "Sie gehen jetzt nachlässig mit der Sicherheit um, weil sie ja wissen, dass nichts beanstandet werden kann. So können sie bessere Gewinne erzielen."
Verständnis für die Bedenken des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeigt indes der Bayerische Bauernverband. "Für uns ist der springende Punkt, ob der Aufwand der Landwirte, der mit den geplanten Sicherheitsauflagen entsteht, in Verhältnis zu dem steht, was die Schutzmechanismen tatsächlich bewirken", so Verbandssprecher Markus Peters. Denn unter diese Regelungen würde dann auch jede Güllegrube eines Bauernhofs fallen. "Von diesen gehen so gut wie keine Gefahren aus, zeigen die Statistiken. Und trotzdem sollen sie genauso hohe Auflagen erfüllen wie Tankstellen oder Chemiefabriken." Daher brauche es Nachbesserungen der Verordnung, grundsätzlich seien sich die Landwirte ihrer Verantwortung für die Umwelt aber bewusst, so Peters.
"Wir sehen den Handlungsbedarf", sagt auch Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer des Fachverbands Biogas Bayern. Denn gerade ältere Anlagen seien zum Teil so gebaut worden, "dass die Behörden sie eigentlich nicht genehmigen hätten dürfen", so Maciejczyk. Umrüstungen sind also auf jeden Fall nötig – in Bayern gebe es dafür auch schon konkrete Vorgaben, die im "Biogashandbuch" festgehalten sind. Seit Herbst 2015 würden bestehende Biogasanlagen nun von Behörden und Betreibern gemeinsam geprüft. Es wird analysiert, wie durch Umbauten Havarien verhindert werden können – zum Beispiel durch Umwallungen.
"Die Betreiber sind aber natürlich, was die finanzielle Belastung betrifft, nicht begeistert", so Maciejczyk. Vor allem weil es keine bundesweiten Regeln gibt. "Es herrscht Unsicherheit, ob sich die Umrüstungen lohnen." Den Betreibern, die jetzt nach bayerischen Sicherheitsauflagen ihre Biogasanlagen verbessern, könne drohen, dass sie nur kurze Zeit später noch einmal umrüsten müssen – wenn die bundesweite Verordnung in Kraft tritt.
Dennoch sei sein Fachverband optimistisch, dass die bestehenden Probleme bald gelöst sind, so Maciejczyk. Die große Anzahl von Unfällen in Biogasanlagen sei auch ein statistischer Effekt: In den vergangenen fünf Jahren seien in Bayern mehr als 350 neue Biogasanlagen entstanden – "natürlich ist dann statistisch gesehen auch die Anzahl von Unfällen größer, aber ein grundsätzliches Problem gibt es mit den Anlagen nicht."
Sensibilisierung statt radikale AuflagenAuch der Bayerische Bauernverband sieht die Probleme nicht so gravierend und warnt daher vor Aktionismus. "Da, wo es Probleme gibt, ist man an Verbesserungen sowieso schon dran und in den anderen Bereichen sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten", meint Pressesprecher Peters. Wichtiger als radikale Auflagen sei die Sensibilisierung der Landwirte für das Thema durch Aufklärung. Schönauer vom Bund Naturschutz wäre das zu wenig. Er pocht auf die Umsetzung der bundesweiten Anlagenverordnung. "Im Moment könnte man ja meinen, der Umweltschutz in Bayern endet an der Wasseroberfläche."