PNP |15.10.22 | Mit Wasserstoff sauber über den Winter kommen
Wie speichert man grünen Strom?
Der Passauer Anton Schwarz hält ein Patent, das ein wesentlicher Baustein sein könnte für die Zukunft der Energie aus Sonne, Wind & Co. Im Passauer Gespräch erklärt er zusammen mit BUND-Vorsitzendem Karl Haberzettl, wie sie funktioniert, was sie bedeutet und wie sie eventuell den umstrittenen Pumpspeicher Riedl ersetzen könnte.
PNP: Herr Schwarz, Sie sind der Überzeugung, dass die bisher genutzte Wasserkraft überholt ist, richtig?
Anton Schwarz: Nicht ganz – die Grundlast, die die Wasserkraftwerke bringen und die für den Landkreis Passau mit acht Megawatt angegeben ist, sollte weiter in Betrieb bleiben.
Was ist dann Ihr Ansatz?
Ich rate davon ab, die Wasserkraft zu erweitern, weil das nichts mehr bringt, das ist von der Leistung her viel zu wenig.
...sondern? Was ist die Lösung?
Wir haben Photovoltaik (PV) und Wind, also grünen Strom, erneuerbare Energie. Im Landkreis Passau haben wir 573 Megawatt PV installiert und wie viel wird genutzt? Die Hälfte! Im Sommer wird die Hälfte der aufwendig gewaschenen Elektronen weggeworfen. Mir tut das ab und zu richtig weh.
Wo sieht man das?
Das kann man immer aktuell ablesen am Energie-Monitor auf der Homepage des Bayernwerks. Da sieht man klar, dass von März bis Oktober weit mehr grüner Strom produziert als verbraucht wird, die Hälfte davon wird vergeudet.
„Wir brauchen neue Mittellast-Kraftwerke“
Und das wird wahrscheinlich noch heftiger werden, Wirtschaftsminister Aiwanger hat ja gesagt, dass er die PV-Produktion im Großraum Passau auf ein Gigawatt hochziehen will. Durch den Zubau der Erneuerbaren ändern sich durch die klimatischen Gegebenheiten die fließenden Strom-Mengen.
Das heißt, dass dann die Überproduktion in den Sommermonaten noch zunimmt?
Ja. Den Job des Ausgleichs bei schlechtem Wetter zum Beispiel übernehmen Mittellast-Kraftwerke wie zum Beispiel Irsching (bei Vohburg/Donau, Anm. d. Red.), das ist eine Gas-Turbine mit 300 Megawatt, die gerade neu gebaut wird oder die alten mit 850 Megawatt, die eigentlich die modernsten der Welt sind – da kann man Gas geben wie im Jumbo Jet. Und für diesen Job brauchen wir jetzt was Neues.
In diesem Punkt sind Sie sich offenbar einig mit der etablierten Strom-Wirtschaft, die will ja Riedl bauen für diesen Zweck?
Riedl ist geplant für zweimal 150 Megawatt Leistung. Aber für den See, der dafür benötigt wird, braucht man 50 Hektar Gelände für die Bauzeit von mehreren Jahren. Für eine Anlage mit Flüssigluftspeicher zur Wasserstoff-Herstellung bräuchte man ca. drei Hektar, für ebenfalls drei Gigawatt Speicher.
Riedl war mal mit Kosten von 350 Mio. Euro angesetzt vor Jahren. Ich sag‘: Unter 800 Mio. baut man das heute nicht mehr. Und mit allen Nebenkosten ist man dann schnell mal bei einer Milliarde Euro.
Für das gleiche Geld gibt es einen Flüssigluft-Energiespeicher, der bereits läuft, einen ,Liquid Air Energy Storage‘. Mit dem könnte man die überschüssige Leistung im Sommer aufnehmen und speichern und bei Bedarf nach Tagesplan abgeben. Bei einem 200-Megawatt-Flüssigluftspeicher bringt man in die Tanks zwei Gigawattstunden (GWh) rein. Daran hängt ein Elektrolyseur und am besten eine PEM, also ein Proton Exchange Membran, die in der Lage ist, als Spitzen-Lastkraftwerk zu agieren – und so die Frequenz im Sekundenbereich im Netz reguliert.
Sehr wissenschaftlich alles. Kann man es einfach so sagen: Die Differenz zwischen Überproduktion im Sommer und Bedarf im Winter wird am besten durch eine solche Anlage zur Luftverflüssigung überbrückt?
Das System Flüssigluft-Energiespeicher mit permanenter Wasser-Elektrolyse erzeugt bei 6000 Betriebsstunden im Jahr ca. 12000 Tonnen Flüssig-Wasserstoff, welche gespeichert 400 Gigawattstunden Strom für den Winter bereitstellen.
Karl Haberzettl: Wir haben am Stelzlhof einen PV-Park gebaut. Wenn wir zu viel Strom produzieren, dann bekomme ich sogar ersetzt, damit ich nicht liefere. Und das ist ein Widersinn, über den keiner redet. Man darf nicht länger auf diese alte Technik „Pumpspeicherwerk“ setzen, sondern auf die des Flüssigluftspeichers. Damit kann ich nicht nur Strom herstellen, sondern alles, was die Industrie braucht: Sauerstoff, Stickstoff, Prozessluft usw.
Eine solche Anlage, die Riedl ersetzen würde, wird auf Kosten von 400 Mio. Euro geschätzt. Ich habe davon technisch auch keine Ahnung, aber Leute wie Anton Schwarz haben dieses Know-how.
Und was noch dazu kommt: Man könnte damit auch die Fisch-Häckselmaschine verhindern, denn nichts anderes wären die zwei Turbinen, die Wasser aus der Donau raufpumpen nach Riedl.
Sie sehen also in dieser Wasserstoff-Anlage die Lösung?
Ja, wenn wir zu viel Strom haben zu bestimmten Zeiten, dann müssen wir ihn speichern und zwar in dieser modernen Technik. So kann ich auch auf den Strommarkt reagieren.
So ein Pumpspeicherwerk hat vielleicht einmal seine Berechtigung gehabt, aber es hat mittlerweile auch seine finanzielle Grundlage verloren, weil es zu teuer ist. Deshalb wollen die Betreiber ja auch vom Staat für eine garantierte Zeit Betreiber-Geld.
Wie sollte die Politik reagieren?
Wenn wir den Strom aus einer PV-Überproduktion in den Sommermonaten nicht wegbekommen, dann sollte man ihn speichern und nicht Entschädigung zahlen für nicht einspeisbaren Strom. Das kostet den Steuerzahler 2,1 Milliarden Euro im Jahr!
Es werden ja auch die Windräder abgelastet, werden runtergeregelt, wenn das Netz die Energie nicht aufnehmen kann. Das müsste alles nicht sein, wenn man auf moderne Speichertechnik setzt.
40 Flüssigluftspeicher in ganz Bayern verteilt
Herr Schwarz, können Sie Ihr Vorhaben in einfachen Worten skizzieren?
Anton Schwarz: Ich will die überschüssige Erneuerbare Energie mit Flüssigluft wegspeichern, rund um die Uhr einen Elektrolyseur betreiben, damit der 24/7 Wasserstoff produziert und das Stromnetz regulieren. Mein Ziel ist, dass in Bayern 40 solche Anlagen gebaut werden, über das ganze Land verteilt. So wird die Energie dezentralisiert und möglichst nah dort verbraucht, wo sie auch produziert wird.
Und diese Anlagen würden die bestehenden Mittellast-Kraftwerke ersetzen?
Ja, zu 100 Prozent. Aber dafür brauchen wir mehr Strom aus Wind und Photovoltaik.
Ok. Wird so auch das große Problem der enormen Zeitdifferenz gelöst? Also Strom vom Sommer in den Winter transferiert?
Mit dieser Anlage kann man von März bis Ende Oktober mit Flüssigluft das Netz steuern und Wasserstoff produzieren. Und diesen Wasserstoff können wir in Tanks wegspeichern und damit November, Dezember, Januar, Februar Strom erzeugen.
Wir kommen damit also über den Winter?
Das muss sauber gerechnet sein für jeden Landkreis und jede größere Stadt, dann kommen wir so über den Winter, ja.
Angenommen, man geht von 800 Millionen Euro Baukosten für das Pumpspeicherwerk Riedl aus und investiert diese Summe lieber in Flüssigluftspeicher, was erhalte ich dann?
Dann erhalte ich für das gleiche Geld zwei Anlagen, die mit 600 Megawatt doppelt so viel Leistung haben wie für Riedl vorgesehen wäre. Und ich habe den Winter abgedeckt, weil ich im Winter keine Erneuerbaren mehr brauche, die habe ich im Sommer in Form von Flüssig-Wasserstoff weggespeichert.
Karl Haberzettl: Und bei diesem Prozess fallen viele Nebenprodukte an, wie etwa Wärme oder Kohlendioxid – dann hätten wir wieder was für unser Bier (lacht).
Und wie schaut‘s mit der Effizienz aus?
Anton Schwarz: Die kann man mit einem Pumpspeicher-Kraftwerk vergleichen, die wird dort bei 80 Prozent angesetzt. Diese Meinung teile ich nicht, denn um diese Zahl zu erreichen, müssen zweimal 150 Megawatt anstehen, damit die zwei Pumpen mit voller Leistung hochpumpen können. Fällt mir das Netz bei einer Pumpe runter auf 100 MW – weil zum Beispiel Wolken aufziehen –, dann muss man vom See oben 50 MW runterholen über die Turbine (macht so also seinen eigenen Antriebsstrom), dann fällt die Effizienz auf 53 Prozent. 80 plus 53 geteilt durch 2 ergibt eine Gesamt-Effizienz von 66,5 Prozent. Das Flüssigluft-System liegt bei sicheren 60 bis 70 Prozent, kann bei speziellen industriellen Anwendungen hochgehen auf 80.
Mit der Flüssigluft-Anlage spielt das keine Rolle; ich kann im Sekundenbereich regeln, ich kann im Halbstunden-Bereich regeln... alles möglich.
Welche Leistung erreicht eine Anlage?
Man kann viermal 2500 Tonnen Luft am Tag damit verflüssigen.
Wie verläuft das im Prinzip?
Es geht unter anderem um den Joule-Thomson-Effekt. Wenn ich eine Luftflasche öffne, die unter Druck steht, dann wird das Ventil kalt. Bei der Luftpumpe das Gleiche: Wo ich komprimiere, da wird es warm und vorne an der Spitze wird es kalt, wo die Luft rauspfeift. Und so gewinne ich Kälte und bei minus 194 Grad habe ich flüssige Luft; in diesem Zustand schaut sie graubläulich aus. Zur Vorstellung: Wenn ich in einen Maßkrug diesen einen Liter flüssige Luft reingebe, Deckel drauf und zuschweißen und den Maßkrug dann anwärme, dann bekomme ich 700 bar auf den Krug. Und das ist die Energie!
Das hört sich hochexplosiv an...
Nein, ein Flüssig-Erdgastank zum Beispiel ist viel gefährlicher als ein Flüssigluft-Tank. Es gibt Flüssig-Sauerstoff-Tanks, Flüssig-Stickstoff-Tanks, Flüssig-Argon... Diese Technik ist ja da, ich brauche überhaupt nichts Neues erfinden. 50 Jahre läuft so ein Luftzerleger, Linde garantiert 30 Jahre.
Und warum setzt die Politik dann so sehr auf die Pumpspeicher-Technik?
Weil es das Einfachste ist, vermutlich. „Das kennen wir, das machen wir.“
Karl Haberzettl: ...und ich glaube, dass die meisten Politiker Schwierigkeiten haben, das zu verstehen. Das ist mir auch so gegangen, das gebe ich offen zu! Aber wenn wir über Wasserstoff reden, dann darf das kein grau erzeugter sein, sondern nur grüner macht Sinn!
Und was ich auch gelernt habe: Wasserstoff soll so nah wie möglich produziert werden. Für einen Transport muss ich ihn ja mit Bindemitteln usw. mischen, damit er transportfähig wird und das ergibt dann Energieverluste.
Anton Schwarz: Da eine Wasserstoff-Tankstelle am neuen Autobahn-Dreieck bei Pocking geplant ist, wäre es sinnvoll, auch die Anlage dort in der Nähe zu installieren.
Man muss den Ortho-Para-Effekt beachten, das ist der Kernspin der Protonen. Wenn man Wasserstoff verflüssigt und in einen Tank packt, dann ist er nach zwei Tagen halb leer, wenn ich das nicht verhindere. Denn Wasserstoff beinhaltet zu 25 Prozent Para-Moleküle und 75 Prozent Ortho-Moleküle, die sich gegenläufig drehen.
„Wir haben im Sommer PV-Strom im Überfluss“
Ich brauche mindestens minus 70 Grad, dass der Joule-Thomson-Effekt wirkt. Ich brauche einen Stickstoff-Kreislauf, damit das funktioniert. Man braucht noch einiges mehr, aber das führt hier zu weit. Auf alle Fälle: Wenn ich alles berücksichtige, dann kann ich Wasserstoff speichern ohne Ende.
Diese Anlagen gibt es schlüsselfertig zu kaufen, alles keine Hexerei.
Karl Haberzettl: Für die Herstellung von Wasserstoff braucht man Energie. Und die haben wir im Sommer im Überfluss, schmeißen sie aber weg, bzw. zahlen sogar dafür, dass der Strom nicht hergestellt wird. Und das muss sich ändern.
Interview: Franz Danninger
Darum geht‘s:
Anton Schwarz (l.) hat dieses Schaubild erstellt mit einem Flüssigluftspeicher (200 Megawatt, mit einer Speicherkapazität von 2 x 1200 MWh). Dass dieser kombiniert wird mit einem 100-MW-Elektrolyseur und so ca. 12 000 Tonnen Wasserstoff im Jahr hergestellt (6000 Betriebsstunden/Jahr), das hat er sich patentieren lassen.
Vom System überzeugt ist Karl Haberzettl; der BUND-Vorsitzende appelliert an die Politik, mit dieser Technik die seiner Meinung nach veraltete Technik Pumpspeicherwerk zu ersetzen: „Der Speicher Riedl wird damit überflüssig“. − Fotos: Danninger
In dieser Netzbilanz des Bayernwerks ist deutlich der Strom-Überschuss abzulesen durch PV-Anlagen von März bis Ende September. Diese Energiemenge verpufft bislang. Sie zu nutzen ist das Ziel einer Anlage mit Flüssigluftspeicher und Elektrolyseur, die Wasserstoff herstellt.
VITA - Zur Person Anton Schwarz, Jg. 1959
Anton Schwarz war 43 Jahre lang Mitarbeiter bei Linde, Inbetriebnahmeüberwachung Luftzerlege-, Wasserstoff- und Petrochemie-Anlagen,
2019 bis heute Senior Advisor & Patent „System mit einer Flüssigluft-Energiespeicher- und Kraftwerksvorrichtung“
2014 bis 2019 Montage- und Inbetriebnahmeüberwachung einer Ethylenanlage (1.55 Mio t/a) in Baytown, Texas (USA), 2011 - 2014 Ethylenanlage in Ruwais (VAE),
2007 bis 2008 Polyethylen-Anlage mit 800000 t/a HDPE und LLDPE in Al Jubail (Saudi Arabien)
2006 Lineare Alpha Olefinen (LAO)-Anlage in Al Jubail (Saudi Arabien? 150000 t/a
2002 bis 2005 Ethylen- und Propylen-Anlage in Bandar Imam, (Iran)
2001 Ethylenanlage EU1 (600000 t/a) in Ruwais (VAE)
2000 Coldboxen für den kalten Teil einer Ethylenanlage (600000 t/a) in Kerteh (Malaysia)
1999 Baustellenleiter der kalten Quelle am Reactor Garching FRM II.
1998 Montageüberwachung einer Cold Box bei Mossgas in Mosselbay (Südafrika)
1997 bis 1998 Montageüberwachung bei der TÜV- Erweiterung einer Ethylenanlage BASF Ludwigshafen
1995 bis 1996 Polyethylenanlage Kalusch (Ukraine)
Anton Schwarz ist in zweiter Ehe verheiratet und lebt in Heining in einer Patchwork-Familie mit fünf erwachsenen Kindern und acht Enkeln.