PNP | 08.11.2022 | Erinnerung an einen Naturschutz-Pionier
Journalist Horst Stern, der zuletzt in Passau und Obernzell lebte, hätte heuer seinen 100. Geburtstag feiern können
Von Stephan Kowarik
Im Rahmen eines zweitägigen Symposiums in der Passauer Redoute wurde am Wochenende des bedeutenden Umweltjournalisten Horst Stern gedacht. Agrarministerin Michaela Kaniber übermittelte dazu eine Videobotschaft.
Bürgermeisterin Erika Träger gab in ihrem Grußwort einen Überblick über Leben und Werk von Horst Stern, der am 22. Oktober 100 Jahre alt geworden wäre. Der in Stettin Geborene war zunächst Bankkaufmann und Kriegsreporter, ehe er sich dem Naturschutz verschrieb, Radioreporter, Filmemacher und Wissenschaftsjournalist wurde und nach seiner aktiven redaktionellen Tätigkeit Romane und Kurzgeschichten verfasste. Von 2000 bis 2018 lebte er in der Passauer Schustergasse 12, dem Pellianum. 2018 übersiedelte er nach Obernzell und starb am 17. Januar 2019. Träger zitierte Prof. Dr. Gela Preisfeld von der Bergischen Universität Wuppertal, die über Stern sagt: „Was ihn auszeichnet, ist eine ganz große Berührtheit durch die Natur.“ Mit seiner oftmals unbequemen Art, auf Naturschutz aufmerksam zu machen, habe Stern viele Menschen wachgerüttelt, manche aber auch gegen sich aufgebracht. „Die Verwirtschaftung der Tiere, sei es durch Abschuss in der Jagd, die Zucht von Rindern, Hühnern etc., war in seinen Augen Töten von Tieren als Sport und als Wirtschaftsfaktor“, so Träger. Stern sei ein Pionier nachhaltigen Wirtschaftens gewesen und habe schon damals durch die Forderung nach naturnaher Landwirtschaft und dem Verzicht auf Pestizide und Herbizide dem modernen Bioanbau und der ökologischen Tierhaltung den Weg gewiesen.
Pikanterweise habe Stern sogar Naturschützer verärgert, indem er den Abschuss der Rothirsche forderte, da sie den Wald schädigen, und es außer den Jägern keine natürlichen Feinde für sie gebe. Auch die „Kuschelbetrachtung“ von Tierliebhabern lehnte der Umweltjournalist ab, von dem auch folgendes Zitat überliefert ist: „Der Mensch kennt kein Maß. Entweder er vernichtet die Natur – oder er liebt sie zu Tode.“ Stern zeigte in seinen Fernsehbeiträgen die Zustände in Schlachthäusern, Schweine- und Hühnerställen. Mit Bernhard Grzimek und anderen, darunter auch Hubert Weiger, gründete er 1975 den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. 1980 gründete er die Zeitschrift „Natur“ und machte mit seinem Buch „Rettet den Wald“ als einer der Ersten auf das Waldsterben aufmerksam. Stern sei selbst der Ansicht gewesen, er habe bei einzelnen Menschen etwas bewirkt, bei den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft aber eigentlich nicht, so die Bürgermeisterin. Ihr Fazit: „Gerade solche streitbaren Menschen rütteln uns alle wach. Er hat damit viel bewirkt, denn es gibt eine immer stärker werdende Bewusstheit der Menschen gegenüber der Natur und unserem Klima; auch leben immer mehr Menschen vegan oder zumindest vegetarisch“.
Horst Sterns Film „Bemerkungen über den Rothirsch“, der vollständig gezeigt wurde und sowohl auf Youtube als auch auf der Homepage des Landesverbands des BN zu sehen ist, ist laut dem Ehrenvorsitzenden Prof. Dr. Hubert Weiger „mit Sicherheit der bedeutendste Film im Bereich der Naturschutzes, der jemals im deutschen Fernsehen gezeigt wurde“. Da er seinerzeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief, als es noch keine werbefinanzierten Privatsender gab, erreichte er rund 30 Millionen deutsche Zuseher, so Weiger, der selbst viele Jahre dem Rundfunkrat angehörte und sich kritisch äußerte gegenüber der gegenwärtigen Quotenfixierung von ARD und ZDF zum Nachteil von Qualität. Sterns Film über den Rothirsch habe viele Menschen erstmals mit den Folgen maßloser Überhege konfrontiert. Seit Kaisers Zeiten habe ein Trophäenkult geherrscht, der auch dank Reichsforstmeister Hermann Göring in die Nachkriegszeit transportiert worden sei, so dass Staatsjagden bis in die jüngere Vergangenheit stattfanden. Erst dank dieses provokanten Films habe das Prinzip „Wald vor Wild“ – Hubert Weiger fügte hinzu „besser gesagt Wald vor Jagd“ – Aufnahme ins Gesetz gefunden, so der BN-Ehrenpräsident. Stern habe dafür auch zu Recht die Ehrendoktorwürde der Universität Hohenheim erhalten.Der Protagonist des Rothirsch-Films, Dr. Georg Sperber, erhielt übrigens 1973 den Bayerischen Naturschutzpreis und vor kurzem aus der Hand von Cem Özdemir die Niklasmedaille.
Gudula Lermer, die Vorsitzende des Bayerischen Forstvereins, äußerte sich bedauernd darüber, dass Sterns Film nicht mehr im Bewusstsein der Jugend präsent sei. Sie empfahl, ihn im Internet möglichst häufig anzuklicken, um Interesse dafür zu wecken. Hubert Weiger brach eine Lanze für den Umweltjournalismus insgesamt und meinte: „Journalisten wie Horst Stern fehlen“. Hans Gaisbauer, pensionierter Förster, meinte zum Trophäenkult: „Nur ein privater Waldbesitzer hat die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Wie wollen Sie einen trophäenbesessenen Jäger heilen! Es bringt keinen Erfolg, sich an Jägern abzuarbeiten."
Der private Waldbesitzer Markus Zwicklbauer ergänzte die Ausführungen seines Vorredners mit der Bemerkung: „Die Wildproblematik ist nicht gelöst. Auch durch ein Verbissgutachten hat sich nichts geändert. Die meisten Waldbesitzer interessiert eigentlich nur ein Rehessen und eine Halbe Bier dazu“. Zwicklbauer hält eine drastische Änderung des Jagdgesetzes für erforderlich. Richard Mergner, Landesvorsitzende des Bund Naturschutz, entgegnete: „Dafür brauchen wir andere politische Mehrheiten in Bayern. Freie Wähler und CSU sind nicht bereit, die von Stern ausgesprochenen Wahrheiten zu akzeptieren.“ Er hofft aber, dass die verbreitete Angst vor Erosion und Hochwasser doch ein Umdenken breiterer Bevölkerungsschichten begünstigen könnte.
Dr. Wolfgang Kornder vom Ökologischen Jagdverband (ÖJV), selbst seit 48 Jahren als Jäger tätig, erhielt großen Beifall für seine Bemerkung: „Wenn es so einfach wäre, das Waldgesetz zu ändern, wäre es schon passiert. Das Gesetz ist auch nicht so schlecht. Problematisch ist die Umsetzung!“
Karl Haberzettl vom Passauer BN meinte: „Niemand will das Rotwild ausrotten. Aber der Wildbestand sollte so sein, dass der Wald auch ohne Zaun überleben kann. Denn das Einzäunen kostet ja auch viel Steuergeld“.